Zweribachwasserfälle: Ein Tag, der erstmal nicht losgehen wollte und dann genau richtig wurde
Zweribachwasserfälle: Ein Tag, der erstmal nicht losgehen wollte und dann genau richtig wurde
Wir sind spätvormittags in St. Märgen angekommen, haben das Auto auf dem Wanderparkplatz abgestellt und sind gemütlich durch den Ort getrottet. Vorbei am Klostermuseum St. Märgen und einem kleinen Café, das sofort das Gefühl des “Hier müssen wir später nochmal hin” auslöste. Am Rathaus ging es noch schnell auf die Toilette, Rucksäcke wurden sortiert, Kameras gecheckt und dann … der Klassiker: “Mein Hut liegt noch im Auto.” Ich also zurück. Zehn Minuten flotter Schritt, Hut geschnappt und zurück gejoggt, Puls oben. Wieder angekommen bei Alicia und der Fotoausrüstung das Nächste: “Äh mein Handy ist irgendwo auf dem Weg aus meiner Hosentasche gefallen.” Also zu zweit den Weg abgelaufen, den ich gerade gejoggt war. Während ich meiner anderen Tochter am Telefon von meinem Pech erzählte und sie fragte, ob sie das Handy von meinem Computer aus orten könne, um den Signalton abspielen zu lassen, um es leichter zu finden. Doch in dem Moment bückt sich Alicia, hebt was von der Wiese, die ich als Abkürzung genutzt hatte, auf und grinst: “Hab’s!” und gleichzeitig ging der von Amelie eingeschaltete Signalton los. Wir mussten lachen und ab dann war klar, dass die Fotowanderung nun wirklich losgehen kann.
Los geht’s!
Die Wanderung hatte Alicia bei Komoot rausgesucht. Sie wurde als schwer eingestuft, war etwa 11,7 Kilometer lang, sollte knapp vier Stunden gehen und um die 430 Höhenmeter auf- und abwärts gehen. Kurze alpine Stücke setzen laut Plattform Trittsicherheit und feste Schuhe voraus. Ich bin gespannt, denn es hört sich herausfordernd und nach einer Challenge an. Doch erstmal müssen wir raus aus St. Märgen. Die ersten Meter sind freundlich und geben Zeit, in das Wandern hineinzufinden. Als ersten Wegstop passieren wir die Rankmühle, die an einem asphaltiertem Weg steht. Ein altes Schwarzwaldhaus mit Holzschindeln und Mühlrad, sowie den klassischen Geranien blühend vor dem Haus.
Fototipp: Panorama statt Weitwinkel
Bei dieser Aufnahme hatte ich mein Weitwinkel vergessen und ehrlich gesagt nutze ich es inzwischen kaum noch. Stattdessen mache ich mehrere überlappende Fotos aus der Hand und lasse Lightroom die Arbeit erledigen. So entsteht ein Panorama mit natürlicher Perspektive, ohne die typischen Verzerrungen eines Weitwinkels. Wichtig ist nur: gleichbleibende Belichtung und etwas Überlappung zwischen den Bildern, den Rest übernimmt die Software.

Weiter geht es der Route entlang, bis wir schließlich auf einem Schotterweg in den Wald hinein landen.

Die Wegränder am Einstieg erzählen eine zweite Geschichte: Disteln, Weidenröschen und andere Blüten sind Tankstellen für viele Arten von Schmetterlingen. Hier wärmen die Falter morgens die Flügel, hier finden sie Nektar und Windschutz. Wer langsam geht, sieht wie stark schon ein Waldrand-Streifen die Artenvielfalt anzieht. Ein Mosaik aus Lichtflecken, Blüten und ruhiger Luft. Dort verlieren wir uns in den Details der Blumen, Schmetterlingen und anderen Insekten, die wir beobachten und versuchen zu fotografieren. Wir verloren die Zeit aus den Augen und so brauchten wir für einen sehr kurzen, leichten Streckenabschnitt viel zu lange.


Fototipp 2: Perspektive verändert alles
Beide Schmetterlinge sind mit dem gleichen Objektiv aufgenommen – meinem Sigma 24–70 mm. Der Unterschied liegt nur im Blickwinkel. Beim ersten Bild seitlich, beim zweiten frontal von oben. Und genau das zeigt, wie stark sich durch kleine Änderungen in der Position Wirkung und Stimmung verändern. Manchmal genügt ein Schritt zur Seite, um ein völlig neues Bild zu entdecken.



Eine kleine Pause durfte wie ihr seht natürlich trotzdem nicht fehlen. Hier stand die Bank direkt an einem kleinen lichten Punkt an dem wir ein bisschen die Aussicht genießen konnten.




Als wir bemerkten wie viel Zeit schon vergangen ist, setzten wir unsere Reise etwas zügiger fort und übersahen dabei zuerst unsere nächste Abzweigung, weil sie so unscheinbar war. Ein schmaler Pfad weiter in den Bannwald hinein und sofort ist man von Schatten und Stille umgeben. Unter den Schuhen nun weicher Waldboden, ein Trampelpfad über Wurzeln und Steine, vorbei an Moos und Farnzweigen. Es geht bergab hinein in die Schlucht.

Fototipp 3: Stürzende Linien nutzen
Viele versuchen, stürzende Linien zu vermeiden – ich nutze sie gern bewusst. Gerade im Wald erzeugen sie Dynamik und verstärken das Gefühl von Steigung oder Höhe. Hier wirken die Bäume, als würden sie sich am Hang festhalten – das bringt Bewegung ins Bild und macht die Szene lebendiger.
Weite mit Respekt: der Hochwartfelsen
Irgendwann kommen wir an einer weiteren kleinen Abzweigung vorbei und wir sind neugierig. Von Neugier gepackt kommen wir an einem Felsvorsprung an, dem Hochwartfelsen, der uns eine tolle Aussicht über den Schwarzwald bietet. Hier beschlossen wir unsere Mittagspause einzulegen und stellten die Rucksäcke ab, aßen gemütlich unser Mittagessen und genossen die Aussicht, alles unter blauem Himmel, mit dem Rauschen des Wassers in den Ohren. Wir achteten trotzdem auf eine gewisse Distanz zum Abgrund, da der Felsen nicht gesichert ist und das alte Geländer nur noch in Resten zu erkennen ist. Nach unserer Pause kehren wir zurück in den schützenden Rhythmus des Waldes.
Die Zweribachwasserfälle
Nach unserer Pause ging es weiter hinab in die Schlucht. An einigen Stellen ist es ein bisschen knifflig, gute Schuhe sind auf jeden Fall empfehlenswert. Als wir endlich vor den Zweribachfällen standen, war sofort das Gefühl der Aufregung und Inspiration da: Wasser, Fels, Moos und das gleichmäßige Rauchen, das alles andere verstummen lässt. Etwa 20 Kilometer östlich von Freibrug fällt der Bach hier in drei Stufen in die Tiefe: unten der breite, kräftige Sturz, der durch die Felsen weit gefächert wird, in der Mitte eine kurze Kaskade und oben ein klarer Sprung. Wir standen einfach da, haben innegehalten. Die Luft war feucht und roch nach frisch, nassem Holz und man wird von feinen Wassertropfen überzogen. Das Licht wanderte durch die Bäume und gerade beim oberen Sturz hatten wir Glück, den genau als wir da waren leuchteten die Sonnenstrahlen durch die Bäume und ließen den Wasserfall teilweise erstrahlen. Man läuft von einem Sturz zum nächsten und alles lädt zum Verweilen ein und man bekommt viele Motive geboten, außerdem kann man hier mit Langzeitbelichtung spielen und einzigartige Bilder erzeugen.



Fototipp 4: Langzeitbelichtung am Wasserfall
Hier lohnt sich ein Stativ wirklich. Mit längerer Belichtungszeit verwandelt sich das Wasser in weiche, fließende Formen – fast märchenhaft. Ohne Langzeitbelichtung wirkt derselbe Wasserfall dagegen viel wilder und unruhiger. Beides hat seinen Reiz, aber die Langzeitaufnahme bringt diese stille, fast magische Stimmung, die man erst auf dem fertigen Bild richtig spürt


Viele unterschiedliche Motive boten sich uns an den Wasserfällen. Das Moos glänzt dunkel auf nassem Gestein, Farnwedel tragen Tropfen an den Spitzen und hinter Felsstufen bilden sich Gumpen, in denen Laub hängen bleibt.

Biologischer Blick: Warum der Bannwald so “satt” wirkt
Der Bannwald hält Feuchte und Temperatur wie ein Schwamm. Das gedämpfte Licht, die kühle Luft und der stetige Sprühnebel schaffen ein Mikroklima, in dem Moose und Farne dichte Teppiche bilden, Totholz langsam zerfällt und Pilze das Holz Schritt für Schritt in neuen Boden verwandeln. Was für uns nach Ruhe aussieht, ist in Wahrheit ein sehr beschäftigtes System.
Am Zweribach selbst wechseln sich kurze Stürze, Rinnen und ruhige Gumpen ab. Hinter jeder Felsstufe sammeln sich Laub und feine Sedimente, kleine Nährstofftaschen, in denen Köcherfliegen-, Eintagsfliegen- und Steinfliegenlarven leben. Diese Insekten sind empfindlich gegenüber Verschmutzung, wenn sie da sind, ist das ein gutes Zeichen für klares, sauerstoffreiches Wasser. Auf den nassen Steinen wachsen Algenfilme, die wiederum von Kieselalgen und Kleinkrebsen abgeweidet werden. Das ist die Basis für vieles, was sich weiter oben im Netz bewegt: Wasserläufer, Spinnen am Ufer, Vögel, die hier jagen.
Im Wald arbeiten neben Pilzen unzählige holzbewohnende Käfer am alten Holz. Jeder Stamm, der liegen bleiben darf, ist ein kleines Mehrfamilienhaus: Larvenkanäle, Pilzmyzel, Hohlräume für Überwinterer. Wo das Wasser lange kühl bleibt und der Boden feucht ist, lohnt ein achtsamer Blick in die Dämmerung, mit etwas Glück zeigt sich ein Feuersalamander, der solche Schluchtwälder liebt (bitte nicht anfassen).

Fototipp 5: Die Magie am Wegesrand
Viele Motive entdeckt man nicht im großen Panorama, sondern im Kleinen. Zwischen Farn, Moos und Schatten entstehen eigene kleine Welten, man muss nur in die Hocke gehen und die Perspektive wechseln. Achte auf Strukturen, Muster oder Formen, die aus der Umgebung herausstechen. Ein leicht offener Blendenwert (z. B. f/2.8 ) trennt das Hauptmotiv wie die Pilze hier vom Vorder- und Hintergrund und lenkt den Blick genau dorthin, wo die Geschichte beginnt: mitten im Detail.

Fototipp 6: Formen im Chaos
Dieses Motiv lebt von seiner Struktur und Farbgebung. Das Moos leuchtet in warmem Grün, während das Holz in sich verdreht und fast spiralförmig wirkt, wie eine abstrakte Skulptur in leichten Brauntönen. Solche Szenen erkennt man oft erst, wenn man die Linien und Farben im Bild bewusst wahrnimmt. Achte auf Kontraste und natürliche Formen, die sich vom Hintergrund absetzen, sie geben dem Foto Tiefe und machen selbst das Chaos im Wald zu einem spannenden Motiv.
Orientierung und Rückweg: der richtige Abzweig zur richtigen Zeit
Die Foto-Wanderung war als Rundweg angedacht und als wir uns auf dem letzten Abschnitt befanden vertrauten wir zunächst dem “offensichtlichen” Pfad nach oben, doch nach einer Viertelstunde passt der Anstieg nicht zu unserem Gefühl, ein Schild widerspricht und wir drehen um, gehen zurück zum letzten klaren Punkt, finden den wirklichen Abzweig in den Hang und steigen diesmal aufmerksam über schmale, wurzelige Meter, die bei Nässe rutschig werden können und genau jene Konzentration einfordern, die einer schweren Route ihren Sinn gibt, bis der Wald sich wieder weitet, der Wind anzieht und die Geräusche des Ortes langsam zurückkehren. Genauso plötzlich wie es vorhin in den Wald und die Schlucht ging, lichtete sie sich. Es öffnete sich eine Passage rund um den Plattenhof und wir genossen eine tolle Aussicht über Felder und Wälder für die letzten Kilometer.

Ankommen und Ausklingen: der Kreis schließt sich
Zurück in St. Märgen, der Nachmittag war schon vorbei und anstatt den von Komoot angezeigten vier Stunden hatten wir sechs Stunden gebraucht, setzten wir uns in das Café, das wir uns ganz am Anfang schon ausgeguckt hatten.

Wir tranken entkoffeinierten Cappuccino und aßen hausgemachten Kuchen. Der Tag schloss sich rund, mit den stillen Abschnitten im Bannwald, dem gedrosselten Tempo in der Schlucht und dem Glitzern im Sprühnebel und um die Strapazen am Anfang zu vervollständigen fielen mir im Café unbemerkt die Autoschlüssel aus der Hosentasche, aber ich bemerkte es als wir gerade los wollten rechtzeitig und wir konnten die Heimfahrt antreten.
Mehr Impressionen zur Wanderung findet ihr ab Donnerstag (23.10.2025) auf meinem YouTube Kanal.


Lichtemotionist - Tobias Ackermann
Autor; Künstler

Alicia Ackermann
Co-Autor; M.Sc. Meeresbiologie




























