Warum wir fotografieren. Ein Essay über Licht und Momente, die wir nie vergessen
Warum wir fotografieren und was der Herbst uns über die Zeit lehrt...
Warum zieht es uns immer wieder hierher in diese Kathedralen aus Holz und Laub? Vielleicht, weil der Herbst der ehrlichste aller Künstler ist. Er zeigt uns, dass Schönheit oft im Loslassen liegt. Jedes Blatt das fällt macht Platz für neues Licht. Wir wandern durch diese Farben. Gold, Rostrot, sattes Gelb und versuchen nicht nur zu sehen, sondern zu fühlen. Die Kamera ist dabei oft nur ein Vorwand. Ein Vorwand um genauer hinzusehen, um die Welt nicht an uns vorbeirauschen zu lassen, sondern sie für den Bruchteil einer Sekunde anzuhalten.
Und dann ist da die Stille, der Nebel. Er ist nicht das Fehlen von Sicht, sondern das Wesentliche. Er verschluckt die Unruhe der Welt. Er zwingt uns, uns auf das Nahe zu konzentrieren.
In einer Welt die immer lauter wird, wirkt dieser Wald wie ein Schalldämpfer für die Seele. Die Bäume stehen wie stumme Wächter im Dunst. Hier draußen gibt es kein Lärm, nur die gedämpften Schritte, auf weichem Boden und das leise Klicken des Verschlusses.
Das Handwerk der Geduld
Fotografie ist hier keine Jagd nach Trophäen. Es ist eine Übung in Geduld. Wir bauen das Stativ auf, wie einen Anker in der Zeit. Wir warten nicht darauf, dass was passiert, denn der Wald inszeniert sich nicht für uns. Wir warten darauf, dass wir bereit sind ihn zu sehen. Es geht um Komposition, um Linien, die das Auge führen, um den Mut Dinge wegzulassen. Ein gutes Bild entsteht nicht im Sensor der Kamera, sondern lange vorher im Kopf. Es ist der Versuch, Ordnung in das Chaos der Natur zu bringen, ohne ihre Wildheit zu zähmen.
Perspektivenwechsel: Über den Wolken
Manchmal müssen wir unseren Standpunkt verlassen, um die Wahrheit zu erkennen. Von oben betrachtet verliert der Nebel seine Schwere. Er wird zu einem Meer, das die Täler flutet. Es ist faszinierend. Unten im Tal fühlen wir uns klein und umschlossen, aber hier oben über den Wolken herrscht eine grenzenlose Freiheit. Das Licht kämpft sich durch, Strahl für Strahl. Es erinnert uns daran, dass hinter jedem grauen Schleier die Sonne wartet. Es ist alles nur eine Frage der Perspektive.
Wenn wir den Blick weiten, ändert sich das Gefühl. Unten im Wald waren wir geborgen, umschlossen. Hier draußen über den Feldern und dem Nebelmeer spüren wir die Größe der Welt. Der Nebel wirkt von hier oben wie eine weiche Decke unter der die Landschaft noch weiter schläft, während wir schon wach sind. Er zeichnet die Konturen der Hügel nach, vereinfacht die Welt. Radiert die Unordnung des Alltags einfach aus. Die Fotografie leert uns genau diese Schichten zu sehen. Das ist die visuelle Ruhe, nach der wir uns oft sehnen. Am Ende bleiben wir zurück mit einer Art stiller Dankbarkeit, dafür dass wir den Wecker gestellt haben, dafür dass wir die Kälte in Kauf genommen haben. Denn diese Bilder auf der Speicherkarte sind mehr als nur Daten. Sie sind der Beweis, dass wir diesen Morgen nicht verschlafen, sondern gelebt haben.

Das ist der Moment, den wir suchen, wenn die Sonne tief steht und die Schatten lang werden. Wenn das Licht nicht mehr einfach nur hell ist, sondern eine Form annimmt. Es schneidet durch die Äste, es malt Texturen auf den Waldboden. Als Fotografen sind wir eigentlich nichts weiter als Lichtsammler. Wir versuchen diese flüchtige Energie in Pixeln zu speichern, aber eigentlich speichern wir Emotionen, die Wärme auf der Haut, den Geruch von feuchter Erde, das Gefühl von absolutem Frieden.
Jetzt geschieht es, der Moment, in dem die Physik zur Poesie wird. Wissenschaftlich gesehen ist es nur der Tyndall-Effekt. Licht das auf Wasserpartikel trifft. Aber wenn man hier steht, verblassen alle Erklärungen. Der Wald wird zu einer Kathedrale, die Bäume sind die Säulen, das Blätterdach das Buntglas und der Nebel der Weihrauch, der alles verbindet. Es ist faszinierend, wie das Licht den Raum plötzlich greifbar macht. Luft ist normalerweise unsichtbar, aber hier bekommt sie eine Textur, ein Volumen. Man hat fast das Gefühl, man könnte die Strahlen berühren, sie wie Vorhänge beiseite schieben. In diesen Minuten entscheidet sich das Bild. Es ist ein Wettlauf. Die Sonne steigt höher, der Nebel lichtet sich. Die Schatten wandern. Es ist ein Tanz aus Wärme und Kälte und wir stehen mittendrin, versuchen nicht nur den Auslöser zu drücken, sondern zu verstehen warum uns dieses Schauspiel so tief berührt. Vielleicht weil es uns zeigt, dass selbst im dichtesten Grau immer ein Weg für das Licht bleibt.

Was wir wirklich mit nach Hause nehmen
Was nehmen wir wirklich mit nach Hause, wenn wir das Equipment wieder einpacken? Es sind nicht nur die Dateien auf einer Speicherkarte. Es ist die Gewissheit, dass wir da waren, dass wir diesen einen beeindruckenden Moment bezeugt haben.


Lichtemotionist - Tobias Ackermann
Autor; Künstler

Alicia Ackermann
Co-Autor; M.Sc. Meeresbiologie




























